Wenn man es genau nimmt, ist der Schreibtisch nur ein Brett mit vier Beinen. Doch seine Erfindung ist so einfach wie genial: Dieses Möbelstück veränderte die Welt des Regierens und Arbeitens. Im zweiten Teil der Artikelreihe zum Geschäftsbericht stellen wir Ihnen die Wandlungen vor, die der Schreibtisch im Laufe der Jahrhunderte durchlaufen hat.
Gehen wir ganz weit zurück: Vor 3.000 Jahren in Ägypten, wo die ersten heute noch erhaltenen Schriften entstanden, saß der Schreiber noch im Schneidersitz auf dem Boden und die Papyrusrolle lag über seinen Knien. Ab 1600 vor Christus benutzten die Griechen den pluteus, ein Brett als Schreibunterlage. Daraus entwickelte sich bald ein einfaches Schreibpult zum Aufklappen mit Platz für die Schreibutensilien.1
Im Mittelalter, als Lesen und Schreiben der adligen und geistlichen Elite vorbehalten war, schrieb man vornehmlich an klösterlichen Stehpulten. Mehr Bewegung kam in die Entwicklung des Schreibmobiliars in der Renaissance: Der Buchdruck trieb die Alphabetisierung voran, Bildung und Wissenschaft blühten an den neuen Universitäten, und nicht zuletzt stellte ein rasant wachsender Fernhandel neue Anforderungen an Buchhaltung und schriftliche Kommunikation. Der Schreibtisch des Kaufmanns, an dem berechnet, kassiert, gebucht und bestellt wurde, war bald das Herzstück des Kontors.2 Gleichzeitig kamen Bildung und Wissenschaft immer mehr in Mode. Die süddeutsche „Schreiblade“, ein aufklappbares, kostbares Tischpult, zeigte den Wert, der dem Schreiben und Schreibmöbeln nun zugemessen wurde.3
Zum Ort der Machtausübung wurde der Schreibtisch im 16. Jahrhundert: Weltreiche waren entstanden, die zu groß waren, um sich reisend regieren zu lassen.
Aus umherziehenden Feldherren und Monarchen wurden Schreibtischregenten.4
So herrschte Philipp I. von Spanien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch über Kolonien in Südamerika und Asien – doch Berichten zufolge soll er sein Zimmer in der Residenz El Escorial allenfalls noch zum Kirchgang verlassen haben. Sein Schreibtisch ist schlicht, erst im Barock vereinten sich Pracht und Macht auch im Bereich der Schreibmöbel.
Kostbarste Materialien und feine Handwerkskunst flossen in den Bau von Sekretären: Schreibschränke mit aufklappbarem Pultdeckel als Schreibfläche, die über zahlreiche Schubladen und Fächer – gelegentlich sogar raffinierte Geheimfächer – verfügten.
Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich eine zunehmend größere Formenvielfalt.5 Napoleon nutzte das Zylinderbureau, bei dem Schreibplatte und Fächer unter einem im Viertelkreis geführten Rollladen verschwanden – in jedem seiner Paläste stand das exakt gleiche Modell.
Im gleichen Zeitraum erscheint das „bureau plat“, ein herrschaftlicher Schreibtisch, der mit seiner großen Arbeitsfläche und dem ungehinderten Blick aufs Gegenüber verdeutlicht: Es war ein Schreibmöbel für die Mächtigen.6
Im 19. Jahrhundert wurde in den Amtsstuben noch immer an Stehpulten mit Stahlfeder, Federhalter und Tintenfass gearbeitet. Höhere Vorgesetzte nahmen auch auf Lehnstühlen am Schreibtisch Platz. Erst Ende des 19. Jahrhunderts bekamen auch Büroarbeiterinnen und Büroarbeiter einen Stuhl – das lag vor allem daran, dass in den 1880er Jahren die Schreibmaschine in den Büros Einzug hielt. Jetzt entstehen neue Möbelformen: Tische mit speziellen Aussparungen für die Schreibmaschine ebenso wie schlichte „Nähmaschinen-Tische“ für Schreibsäle. Dort arbeiteten in den 1920er Jahren vor allem Frauen. Das Bauhaus, 1919 von Walter Gropius gegründet, schuf designstarke Prototypen für die Massenfertigung: Die Kombination aus Stahlrohrgestell und Holzplatte beeinflusst Büro-Mobiliar bis heute.7
Amerikanische Präsidenten regieren bis heute am „Resolute Desk“, einem Schreibtisch, der aus dem Holz der HMS Resolute, einem britischen Expeditionsschiff der Royal Navy, gefertigt wurde.
Das 590 Kilo schwere Stück war ein Geschenk von Queen Victoria.8
An einem reichverzierten bureau plat pflegten auch die französischen Präsidenten ihre Regierungsgeschäfte abzuwickeln, bis Emmanuel Macron das antike Stück unlängst durch ein modernes schwarzes Möbel aus der Möbelkollektion des Architekten Thierry Lemaire ersetzen ließ.9
Technische Neuerungen wirkten sich auch auf die Gestaltung aus: Wenn einst die Vertiefung fürs Tintenfass reichte, forderten Schreibmaschinen und ab Ende der 1960er Jahre Bildschirmterminals eine größere Standfläche. Die Arbeitsplätze mussten breiter und tiefer werden, mit dem Aufkommen von Computern wurden Kabelkanäle und große Ablagen für Papier benötigt. Mit Flachbildschirmen und zunehmend elektronischer Kommunikation sind diese Anforderungen wieder rückläufig. In vielen Privathaushalten finden sich moderne Sekretäre, in denen man das Laptop nach getaner Arbeit platzsparend verschwinden lassen kann. Dazu kommen jene, die im Homeoffice ihre Büroarbeit nicht am Schreibtisch, sondern genau wie in den historischen Anfängen in Ägypten wieder im Schneidersitz erledigen – zwar nicht auf Papyrus, wohl aber auf dem Sofa mit Laptop oder Tablet.
Download: VBL-Geschäftsbericht 2020, PDF, 10 MB
Quellen:
1 buero-mit-zukunft.de, Die Geschichte des Schreibtisches und die Entstehung von Büros, 2021.
2 hnf.de, Dauerausstellung Handelskontor um 1500, 2021.
3 Die Welt, Von Chippendale zum Rollbureau, 2006.
4 Deutschlandfunk Kultur, Die Geschichte des Schreibtischtäters, 2018.
5 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Philip_II%27s_study_in_the_Escorial.jpg
6 alltagstipp.de, Die Geschichte des Schreibtisches, 2014.
7 Die Welt, Von Chippendale zum Rollbureau, 2006.
8 sueddeutsche.de, Mächtig angestaubt, 2021.
9 ad-magazin.de, Glamour pur! Wir zeigen die Büroräume von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, 2021.